Das Wort zum Donnerstag, 1. November 2012 - SANDY

Mittwoch, 31. Oktober 2012

Die heutige US-Berichterstattung bezüglich SANDY ist vorwiegend von zwei Dingen bestimmt.
Zum einen von Fotos und Videos, die schlimme Bilder zeigen. Zum anderen von steigenden Zahlen.

Jedes Mal aufs Neue möchte man sich der Hoffnung hingeben, dass es vielleicht doch nicht so verheerend kommt, wie es den Anschein hat. Aber wenn man sich eine Zeit lang mit dem Thema beschäftigt hat, das Herz beiseite lässt und einfach nur den kühlen Verstand benutzt, dann ist einem bei bestimmten Stürmen klar, dass diese Hoffnung gegenüber der Realität kaum eine Chance hat.

SANDY war solch ein Sturm. Viele von Ihnen drücken uns ihre Anerkennung für unsere "sachliche" Berichterstattung aus und wir versprechen, an dieser festzuhalten. Aber glauben Sie uns bitte, dass uns manchmal danach war, unsere Leser vor Ort geradezu anzuschreien: "Nehmen Sie SANDY ernst, ernst ernst!"

Dass viele Leute SANDY eben nicht ernst genug genommen haben, wird allein schon klar, wenn man sich durch die SANDY-Video-Landschaft arbeitet. "Ich hätte nie gedacht, dass ....", "Aber SANDY war doch nur Kategorie 1 ....", "Dieses oder jenes war doch unmöglich vorherzusehen.".

FALSCH!

Bei allem ehrlichen Mitgefühl für jeden einzelnen Betroffenen - und es geht uns auf gar keinen Fall darum, mit dem Finger auf irgendjemand Bestimmten zu zeigen, sondern darum, ein generelles Verhaltensmuster herauszustellen:
Es war praktisch ALLES rechtzeitig vorhergesagt.
Eifrige Berufswidersprecher werden vielleicht den einen oder anderen Wert finden, bei dem die Realität die Prognose übertroffen hat. Aber generell war alles so angekündigt, wie es letztendlich auch kam. Wellenhöhe, Sturmflut, Niederschlag, Windstärke und so weiter.

Wo liegt also das Problem?

Es widerstrebt uns, von "Schuld" zu sprechen. Aber nach Gründen muss gesucht werden, um die Situation kurz-, mittel- und langfristig zu verbessern.
In diesen Prozess sind in erster Linie zwei Parteien involviert. Die Warnenden und die Zu-Warnenden.

Weder die eine noch die andere Partei kann - erneut - von sich behaupten, im Fall SANDY alles richtig gemacht zu haben.

Die Warnenden, die ihre Tätigkeit mit Regierungsauftrag und durch Steuergelder finanziert betreiben, mögen unser oben genanntes Argument anführen: "Aber wir haben doch alles ziemlich korrekt prognostiziert!"  Dass dies eventuell nicht genug ist, zeigen die katastrophalen Folgen, was vor allem den Verlust von Menschenleben anbelangt.

Die Zu-Warnenden ihrerseits haben zumindest teilweise einmal mehr gezeigt, was sie von den Warnenden und ihrer Arbeit halten. Es gibt einen Begriff dafür: Ignoranz. Wobei der Hauptgrund für diese Ignoranz schnell gefunden ist. Zwölf Mal kündigt das National Hurricane Center etwas mehr oder weniger Gravierendes an. Zwölf Mal geht es am Ende und in Wirklichkeit relativ wenig dramatisch zu. Beim dreizehnten Mal kracht es. Und aufgrund der Erfahrungen der vorgehenden 12 Male rechnet niemand damit.

Man darf nicht vergessen, dass gerade für einen Privathaushalt eine ernsthafte Vorbereitung auf die Ankunft eines Sturms einen ziemlichen finanziellen und organisatorischen Aufwand bedeutet. Es ist also keinesfalls komplett unverständlich, wenn einige Leute beim dreizehnten Mal sagen: "Nein, jetzt war es genug!"

Die andere Seite empört sich natürlich trotzdem, wenn es da Leute gibt, die zum Beispiel Evakuierungsanordnungen nicht befolgen. Im Moment werden Leute leblos in ihren Häusern aufgefunden. In Häusern, die sich in Zonen befinden, in denen Zwangsevakuierung angeordnet war.

Wir haben die "andere" Seite, nicht die "Gegenseite" gesagt. Vielleicht ist das einer der Punkte, an denen gearbeitet werden sollte. Nach unserer Auffassung haben die USA das weltweit beste Warnsystem, was Tropische Stürme anbelangt. Es handelt sich hierbei nicht um eine allzu subjektive Anwendung der Steigerungsform des Attributs "gut" (wie etwa im Sport "Alonso ist besser als Vettel" oder "Bayern ist besser als Dortmund"), sondern vielmehr um die Art der Warnungen und die Art der Verbreitung der Warnungen, die das NHC in Zusammenarbeit mit Politik und Medien entwickelt hat.

Dieses Warnsystem bindet andere Institute ohne Konkurrenzkampf ein. Die FEMA zum Beispiel. Und es wird gewarnt und gewarnt und gewarnt. Es gibt dabei ganz generelle Hinweise (übrigens auch bei uns). Und das sind gar nicht soooo viele. Wenn Ihnen danach ist, dann vergleichen Sie einmal die Ursachen der Todesfälle in den USA, die mit SANDY in Verbindung gebracht werden, mit den FEMA-Empfehlungen (Before, During und After).

Fakt ist, dass das Warnsystem trotz aller verliehener Attribute nicht funktioniert. Nicht gut genug.
Und hier gilt es unserer Meinung nach anzusetzen. Ich kann als für die Warnungen Zuständiger nicht einfach sagen: "Wenn ich das beste Warnsystem der Welt zur Verfügung habe und zur Anwendung bringe, dann liegt es doch nur an den Leuten, wenn sie es missachten."
Wir bringen aber gern auch einen persönlichen Standpunkt ein: Wenn im Jahr 2012 eine für einen bestimmten Bereich verantwortliche Person (das sind Politiker) sagt: "Evakuieren!" und jemand im genannten  Bereich nicht evakuiert, dann ist Letzterer schlichtweg lebensmüde. ABER: Es ist nicht unser Haus, das zu Freiwild für Plünderungen wird, wenn wir es bei Annäherung eines Sturms verlassen. Besitz vs. Leben?

Was unseres Erachtens von seiten der Warnenden aus nicht passieren sollte, obwohl es fraglos zur Ignoranz in der Bevölkerung beiträgt, ist eine Reduzierung der "Könnte" - Warnungen. Unvorstellbar. Ein einziges Mal ein "Könnte" ohne die entsprechenden Warnungen zur Realität geworden - und die Warnenden werden politisch gekillt. Aber eben nicht nur politisch. Denn stellen Sie sich einmal faktisch vor, dass da ein Sturm kommt, den das NHC in seinen Prognosen UNTERtreibt. Und bei dem hinterher jeder Betroffene sagen kann: "Aber das NHC hat doch ......!"
Wenn die Möglichkeit besteht, dass etwas Schlimmeres passiert, dann ist das NHC verpflichtet, zu berichten, dass die Möglichkeit besteht, dass etwas Schlimmes passiert. Auch wenn zwölf Mal nichts so wahnsinnig Schlimmes passiert ist. Oder sehen Sie das anders?

Vertrauen oder Misstrauen in die Vorhersage-Institute hat noch ganz andere entscheidende Folgen. Können Sie sich vorstellen, dass das National Hurricane Center, die NOAA, gar die NASA letztendlich und unter gewissen Aspekten betrachtet als politisches Werkzeug dienen? Wussten Sie, dass keines dieser Institute unabhängig ist?

Gerade die NOAA hat in den letzten Jahren unter Einschnitten gelitten. Was übersetzt kaum etwas anderes bedeuten kann, als dass ihre Arbeit als nicht ganz so wichtig angesehen wird. Momentan herrscht eine intensive Diskussion darüber, wie es denn bitte schön sein kann, dass das Euro-Modell korrekter war als die US-Modelle. Geglaubter World-Leader USA nur Nummer 2 bei einem Thema, dass die USA viel mehr betrifft als - in diesem Fall - Europa?

Ganz so einfach ist es nicht. Das Euro-Modell hat SANDY als erstes an der East Coast gesehen, ja. Die von den US-Instituten zur Anwendung gebrachten Modelle haben aber nicht umgeschwenkt, weil sie sich dem Euro-Modell auf Gedeih und Verderb anpassen wollten, sondern weil sie rechtzeitig zu denselben Resultaten kamen. Und eine ganze Menge der Detail-Prognosen der US-Modelle waren letztendlich exakter als das Euro-Modell.

Zum Glück findet in den USA gerade kein akuter Wahlkampf - auf welcher Ebene auch immer - statt. Sonst könnte man ja doch auf recht merkwürdige Gedanken kommen. Wir sind ehrlich gesagt ein wenig positiv überrascht, dass folgender Artikel überhaupt veröffentlicht wurde. Wenn Sie sich für das Thema interessieren und auch noch des Englischen halbwegs mächtig sind, legen wir Ihnen die Debatte wirklich ans Herz: Ist das Euro-Modell effektiver für US-Events?

.....

Während wir hier den Luxus - der uns selbst oft als arrogant erscheint - haben, unsere Meinung kund zu tun, steigen die Zahlen vor Ort weiter. Die schlimmen Zahlen. Aber fragen Sie sich doch einmal selbst, was Sie tun würden, wenn Sie sich sicher wären, dass diese oder jene Zahl steigen wird.
Es wird irgendwann ein Fazit geben. Ein endgültiges. Aber dies kann kaum passieren, bevor der letzte Stein umgedreht ist. Was damit gemeint ist: Die Todesopfer- und Finanz-Schadensmeldungen werden weiter steigen. Nicht nur gleich und morgen. Endgültige Daten werden Politiker bekannt geben. Endgültige Daten werden dann wikipediasiert werden. Was sind Zwischenberichte in dieser Hinsicht wert?

Dann gilt es noch einen Punkt zu behandeln:

Wie oft bekommen wir die Anfeindung: "Ist ein Sturm in den USA wichtiger als ein Sturm (zum Beispiel) auf Haiti?!!!" zu hören. Diese Art von Kommentar war, ist und bleibt gerechtfertigt. Und unser Standpunkt hier ist definitiv: NEIN!

Es gibt aber mehrere Gründe, warum ein US-Sturm im Auge des Weltpublikums anscheinend doch wichtiger ist.

Mit diesem Gedanken als Ausgangspunkt einer Reflektion wünschen wir Ihnen eine Gute Nacht.
Kommentare sind willkommen.

Halloween in Europa?





    




2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

na so gut sind die aber nicht war ja gar keine hurricenwarnung in new york.

Anonym hat gesagt…

Ich kenne die Diskrepanz zwischen Warnungen und menschlichem Verhalten aus den Alpen. Keine noch so gute Prognose und Warnung kann Menschen davon abhalten in lawinengefährdeten Gebieten waghalsige Touren zu unternehmen. Und jeden Winter kostet das zahlreiche Menschenleben. Irrationales Verhalten einiger.
Wenn ein Sturm auf ein dichtbesiedeltes Gebiet (noch dazu an einer Küste gelegen) trifft, braucht es keine noch so gute Prognose um hohe Sachschäden und Todesopfer vorherzusagen. Ob das nun Hamburg, New Orleans , Bangladesch oder New York ist. Sich hier mit langatmigen Ausführungen zu beschäftigen was schief gelaufen ist, welche Prognose die Nase vorn hatte und wann die Schäden und Opfer aufsummiert sind geht an der Kernfrage vorbei. Mir scheint das sich Wetterereignisse inzwischen besser vorhersagen lassen als menschliche Verhaltensweisen. Genau wie auf den Skipisten. Die meisten bleiben auf den markierten und freigegebenen Abfahrten. Und die wenigen die sich nicht daran halten machen dann vielleicht Schlagzeilen. Wer sich entscheidet einer Aufforderung zur Evakuierung nicht nachzukommen, obwohl eine Überschwemmung recht wahrscheinlich ist, handelt in Eigenveratnwortung. Das Wort Zwangservakuierung ist irreführend. Niemand kann gezwungen werden sein Haus zu verlassen wenn er es nicht will, zumindest in den USA. Und die Prognose eines Wettergeschehen schliesst auf keinen Fall die Vorhersage der Auswirkungen mit ein, sonst müssten wir ja neben den oft sehr reisserisch aufgemachten Prgnosen (Monstersturm etc) auch gleich die zugehörigen Schadenssummen nebst erwateten Todesopfern von den Medien geliefert bekommen. Ursache und Wirkung kann man nicht gleich gut prognostizierbar.

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